Endlich habe ich Zeit! Ich blase 20 Jahre Staub aus der Werkzeugkiste und sortiere Schrauben. Große, kleine, Muttern extra. Das erste Mal seit fünf Jahren vertikutiere ich den Rasen: längs, quer und, weil’s so schön ist, auch schräg. Man glaubt gar nicht, wie verfilzt alles ist. Das Hochbeet, das seit einem Jahr auf unserer Terrasse angelehnt stand, habe ich zusammengeschraubt, und nun fülle ich es bereits seit Tagen mit liebevoll selbst gesiebtem Kompost. Ich freu mich schon auf den Häcksler morgen – es geht doch nichts über selbstgemachten Rindenmulch! Da meine Frau nicht bereit ist, mir für diese Hausmeister-Hackn eine angemessene Apanage zu zahlen, mache ich es halt derweil ehrenamtlich. Wer weiß, wofür es gut ist.

Beim Aufräumen finde ich meinen 2004 gewonnenen „Hamburger Comedy-Pokal“ aus Frottee. Den Schas könnte ich versteigern. Wahrscheinlich würde ihn irgendein besserverdienender Freund aus Mitleid erstehen, was mir sicher peinlich wäre. Was soll’s? Zum Schämen ist die Zeit zu schlecht. Meine Tochter hat jede Menge Playmobil, das sie nicht mehr braucht. Aber ist es moralisch vertretbar, den Erlös selbst zu kassieren? Ich habe einen Online-Shop eingerichtet. Bis jetzt gab es nur eine Kontobewegung. Meine Mutter hat unter falschem Namen eine alte DVD von mir bestellt. Abends stelle ich total lustige Selfie-Videos ins Netz. Ich mach das für Facebook und Youtube, denn die wollen ja schließlich auch von irgendwas leben. Sowas muss man als Künstler unterstützen. Kürzlich habe ich von der AKM die Streaming-Abrechnung für meine Lieder bekommen: drei Euro zweiundsechzig für das vergangene Jahr. Damit kann ich mir schon fast das Porto leisten, wenn jemand drei Bücher von mir bestellt, was aber nie vorkommt. In den sozialen Netzwerken weisen alle möglichen gutsituierten Proponenten der Kabarett-Szene auf die Wichtigkeit ihrer Branche hin. Es geht, soweit ich das verstehe, um die Rettung der Welt durch Kabarett. Heute hat mich – welche Ehre! – ein Großveranstalter angerufen! Er wollte mich aber nicht veranstalten (das wollte er noch nie), sondern beschwor mit weinerlicher Stimme die Solidarität unter Kulturschaffenden. Seit Jahren bringt er nur die absoluten Top-Stars auf die Bühne, denn der Kleinkram, sagt er immer, zahle sich für ihn nicht aus. Ich müsse seine Aufrufe auf Facebook und Youtube teilen, es gehe um nicht weniger als die Existenz der gesamten Kulturszene. Wie rührend, wie aufopfernd, wie herzergreifend sozial! Morgen gehe ich häckseln.

Christian Hölbling, Kabarettist, Sänger, Moderator, Rote Nasen Clowndoctor, Kolumnist

23. September 2020

Dieser Text erschien auch in der Kulturzeitschrift „Die Brücke“.