Zu Beginn der Coronakrise geschah etwas Erstaunliches. Was ich in meinen kühnsten Träumen nicht gewagt hatte zu hoffen, war plötzlich geschehen. Die sogenannte „erste Welt“ stand mit einem Schlag still. Kein Kondensstreifen am Himmel, kein Lastwagen auf der Autobahn, keine Touristenmassen, keine Kreuzfahrten. Konsumstopp! – Und die Folgen: Klare Sternennächte, Rückeroberung des urbanen Raums durch die Natur, Stille, Besinnung.

Was Greta Thunberg in den Monaten zuvor mahnend immer und immer wieder von uns verlangte und was bis dahin illusorisch schien, wurde mit einem Mal real. Die Welt hielt inne, und in dieser Stille keimte die Hoffnung in mir, dass wir vielleicht doch noch das sprichwörtliche Ruder rumreißen und unseren Lebensraum für kommende Generationen retten könnten.

Ein halbes Jahr später ist von dieser Hoffnung nichts mehr übrig. Und die traurige Gewissheit, dass es im Wesen des Menschen liegt, eine wohlig wärmende Lüge jederzeit der eiskalten Wahrheit vorzuziehen, manifestiert sich mit jedem Tag aufs Neue. „Zukunft“ reicht scheinbar nicht über die eigene Lebenserwartung hinaus, anders ist unser Handeln nicht zu erklären. Das Hochfahren der Wirtschaft ist das einzig relevante Ziel. Einen philosophischen Mehrwert sucht man in unserer Gesellschaft vergebens.

Niemals war die Chance größer, sich gemeinsam den wesentlichen Fragen zu widmen.

Anstatt beispielsweise den Tod als Sinn stiftende Instanz in unserem Leben anzuerkennen und zu integrieren, drängen wir ihn noch weiter hinaus, als könnten wir ihn dadurch überlisten. Eine wirtschaftshörige Gesellschaft, die sich bis ins hohe Alter fit hält, sich liften lässt und überschüssiges Fett absaugt, wird lieber Masken tragend und Abstand haltend eine „neue Normalität“ akzeptieren, als die Endlichkeit des Seins. Diese findet zwar nach wie vor statt, wird aber weiterhin tabuisiert. Der Sterbende verschwindet aus dem Fokus der Öffentlichkeit, sein Verfall ist zu aufwühlend, zu unästhetisch, einem gesunden Menschen unzumutbar. Lieber wärmen wir uns an der Vergangenheit, lesen Nachrufe, schauen alte Bilder, erinnern uns daran, wie es vor dem Sterben war. Nur der Todeskampf Einzelner wird missbraucht, um Stimmung für politische Entscheidungen zu machen. So müssen Bilder von Intensivpatienten zur Stimmungsmache herhalten, als wäre das Leben eine Zigarettenpackung.

Wie schade, liegt doch genau in unserer Sterblichkeit der Schlüssel zum persönlichen Glück. Welchen Wert hat schon ein Leben, das niemals endet?

Thomas Gansch, österreichischer Trompeter, Komponist und Entertainer

16. September 2020