Beim Lockdown am 16. März 2020 konnte man entschlossenes politisches Handeln zugestehen. Die überraschende Konfrontation mit dem Covid-19-Virus und seiner tödlichen Bedrohung führte zu einer nationalen Schockstarre und anfangs zu überraschendem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Umgang mit dieser seit Generationen völlig neuen Ausnahmesituation war politisches Neuland. Verstörende Medienberichte aus aller Welt verstärkten die Ängste der Menschen und die Unsicherheit der Entscheidungsträger. Es musste kurzfristig auf ungenügender Faktenbasis in Unsicherheit entschieden und rasch gehandelt werden. Dabei konnte nicht alles gänzlich richtig, sinnvoll, angemessen, ausreichend etc. sein, wie sich im Rückblick allzu leicht kritisieren lässt. Daher konnte man zu Beginn der Pandemie noch die vielzitierte „Unschuldsvermutung“ gelten lassen. Im Nachhinein weiß man es besser, aus Fehlern lernt man. – Aber stimmt das hier?

Offenbar ist die Politik nach dem ersten Lockdown davon ausgegangen, die Pandemie weitgehend überwunden zu haben. Wurde die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle unterschätzt, weil parallel zur Öffnung im Sommer 2020 keine Vorbereitungen getroffen wurden, um Wirtschaft, Bildung und Kultur für den Herbst handlungsfähig zu machen und nicht wieder die gesamte Gesellschaft herunterfahren zu müssen? Scheinbar wurde vertrauensselig auf die rasche „Erlösung“ durch eine Impfung gesetzt, die sich wie ein Lichtblick am Horizont abzeichnete.

Warum aber wurden die umfassenden Testmöglichkeiten, die es nun seit Februar 2021 gibt, nicht bereits viel früher zur Verfügung gestellt, um bis dahin ein wenigstens halbwegs angemessenes gesellschaftliches Leben bei gleichzeitiger Reduktion der Ansteckungsgefahr aufrecht zu erhalten? Schließlich stellt sich die Frage, wie es zu diesem „Impf-Dilemma“ kommen konnte, bei dem Impfwillige bei uns vertröstet werden müssen, während andere Länder massiv impfen? Im Unterschied zum solidarischen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu Beginn der Pandemie (wir verzeichneten damals im Sinne von Friedrich Nietzsche eine krisenbedingte „Umkehrung der Werte“), kommt nun wieder der Egoismus zum Vorschein. Insbesondere im „Wettstreit“ darum, wer angesichts des massiven Mangels an Impfmöglichkeiten zuerst geimpft wird und wer darauf warten muss. Besonders empörend wird empfunden, dass Regionen, in denen die Ansteckungsgefahr zum Teil fahrlässig missachtet wurde, nun bei den Impfungen vorgereiht werden. Der politisch in den Raum gestellte „grüne Pass“ mit der an die Impfung gebundenen Reisefreiheit, auf die alle schon lange warten, verstärkt Neid, Missgunst und die gesellschaftliche Spaltung.

Nach einem Jahr medial inszenierter „Verkündigungspolitik“ mit massiven Einschränkungen trotz gleichzeitiger Plan- und Ziellosigkeit, zum Teil unverständlichem Zick-Zack-Kurs, vielen leeren Versprechungen und weiterhin vielen offenen Fragen, ist das Vertrauen in die Politik im Keller. Leider nehmen das viele zum Anlass, ihr renitentes, unsolidarisches Verhalten zu rechtfertigen. Das ist genauso wenig tolerierbar.

Horst Peter Groß, Präsident des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten

16. März 2021