Die Ausnahmesituation im Zuge der weltweiten Corona-Infektionsgefahr hat uns eines drastisch vor Augen geführt: Der Faden, an dem unser Leben in Sicherheit und Wohlstand hängt, ist ein erschreckend dünner!

Angesichts der Gefahr, Menschenleben nicht retten zu können, weil die medizinische Infrastruktur – sogar in den reichsten Ländern der Welt – dafür nicht ausreicht, gilt es, die Bevölkerung mit allen Mitteln vor Ansteckung zu schützen. Dazu werden bisher unvorstellbare Einschnitte in unsere Freiheitsrechte staatlich verordnet. Das Ansinnen ist lobenswert und zeugt von hoher humanitärer Reife unserer liberalen Demokratie, gerade weil diese Auflagen (bisher) von den Bürgerinnen und Bürgern auf breiter Basis mitgetragen werden. Dennoch ist es erstaunlich, dass ein Virus geschafft hat, was bisher politisch undenkbar war: Dass ein Großteil der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens lahmgelegt wird. Staatlich verordnet, koste es, was es wolle!

Der Soziologe Ulrich Beck hat bereits 1986, kurz nach der Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl, darauf hingewiesen, dass die Industriegesellschaft sich selbst gefährdet, weil der technische Fortschritt globale Risiken produziert. Bereits damals identifizierte  er das Umweltrisiko, also unseren Umgang mit der Natur, als eines der großen unterschätzten Risiken. Trotzdem haben wir seitdem mit unserem Lebensstil die Umweltschäden potenziert. Sogar der Klimawandel führte zu keinem Umdenken. Seit Rio 1983 gab es nur politische Lippenbekenntnisse. Nachhaltigkeit blieb ein Schlagwort, Wirtschaftswachstum blieb das sakrosankte Ziel. Koste es, was es wolle.

Doch mit dem Corona-Virus werden bisherige Dogmen über Nacht außer Kraft gesetzt, zumindest auf Zeit. Nun herrscht das Primat der Politik. Fragt sich nur, wie lange dies dauern kann und darf? Auf längere Zeit wäre ein Verbot wirtschaftlicher Aktivitäten für unser Gesellschaftssystem nämlich ebenfalls eine humane Katastrophe.

Vielleicht lehrt uns dieses Dilemma, dass wir ein neues Gefühl für die wirklichen Risiken unserer Gesellschaft entwickeln müssen. Krisenmanagement ist das eine. Kurzfristig notwendig. Eine vorsorgende Gesellschaft hat aber die Verpflichtung, sich mit ihren selbst produzierten Risiken auseinander zu setzen. Die Corona-Krise ist ein guter Anlass dafür, unsere Weltgesellschaft neu zu justieren und eine neue Balance zwischen Politik und Wirtschaft, Mensch und Natur zu finden.

Dazu ist es allerdings notwendig, sich eines vernünftigen Verstandes zu bedienen.

Horst Peter Groß, Präsident des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten

05. April 2020