Die Kunst des Fragens und Hinterfragens ist seit jeher faszinierend und essenziell zugleich. Denn sie offeriert die Möglichkeit der (Selbst-)Aufklärung und Erkenntnis, der Verständigung und des Verstehens. Es heißt ja auch aus gutem Grund: „Wer fragt, der führt.“ Oder: „Wer selbst spricht, erfährt nichts.

Gewiefte „Ratschläger“ mit (vor-)schnellen Antworten und Lösungen haben zwar zeitlos Saison – besonders in unsicheren Zeiten. Aber deren Sprechblasen gehen vielfach ins Leere und lassen die Beratschlagten umso ratloser zurück. Das war und ist auch in pandemischen Covid-Zeiten nicht anders, in denen Futurologen und andere Wissende verdächtig oft irr(t)en. Deren beredte Prognosen und Diagnosen offenbar(t)en sich zuweilen als fragwürdige „Contragnosen“.

Umso mehr könnte es Sinn machen, etwa bei Sokrates nachzuschlagen, der als Meister des Fragens gilt. Er mochte keine weitschweifigen Reden über den Untersuchungsgegenstand, sondern bestand auf einer möglichst direkten Antwort. Im sokratischen Gespräch hat die Frage absoluten Vorrang – und nicht die vorschnelle, „gescheite“ Antwort oder eine unreflektierte, eitle Besserwisserei bar jeden Selbstzweifels. „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ So gestand er selbst zweifelnd ein. Aber seine Kunst des Fragens vermochte beim anderen überraschende (Selbst-)Erkenntnisse auszulösen.

Einer, der diese Kunst ebenso außergewöhnlich zu beherrschen schien, war Kardinal Franz König. Als Hochbetagter erlitt er einen Oberschenkelhalsbruch und meinte, am Ende seines Weges angelangt zu sein. Aber es kam anders. Noch im selben Jahr feierte er seinen 98. Geburtstag mit einem Glas Sekt und fasste unverdrossen Mut. Und seine luzide Conclusio daraus, quasi als sokratisch (Hinter-)Fragender: „Ich habe mir gedacht, ich darf nicht hadern und fragen: Warum ist mir das passiert? Ich muss die Frage anders stellen, ich muss fragen: Wozu ist mir das passiert? Was ist der Sinn dahinter?

Wer fragt, der führt – auch sich selbst. So ließe sich der alte Lehrsatz plausibel ergänzen. Was wäre, wenn wir uns selbst elementare Lebensfragen stellten (und darauf Antworten suchten) wie: Warum tue ich das, was ich tue, eigentlich? Oder raffiniert sokratisch abgewandelt – auch im Sinne Kardinal Königs: WOZU tue ich das, was ich tue, eigentlich? Und was, wenn wir etwa angesichts der Krise nicht nur fragten: WARUM ist sie passiert? Sondern vor allem auch: WOZU? Oder wie Peter Heintel immer wieder kritisch einwarf: Wollen wir es so, wie wir es uns eingerichtet haben?

Mag. Dr. Franz J. Schweifer, Zeitforscher & Temposoph, Stv. Vorsitzender „Verein zur Verzögerung der Zeit“

29. Juli 2020