Für vorsorgende Politik, beispielsweise vorsorgliche Maßnahmen gegen eine zukünftig eventuell auftretende Pandemie (deshalb hat uns das Corona-Virus so unvorbereitet getroffen) oder eine zukünftig potenziell stattfindende Naturkatastrophe (Stichwort: Klimawandel) bekommen Politiker*innen keine Wählerstimmen, heißt es. Daher ist es für sie wichtiger, sich mit möglichst aktuellen, für alle im „Hier und Jetzt“ aufdrängenden Problemen zu befassen und dafür zumindest Abhilfe in Aussicht zu stellen.

Politik ist offenbar dazu verdammt, sich in erster Linie um tagesaktuelle Probleme zu kümmern – und sie hat sich darauf eingestellt, auch weil die mediale Welt darauf ausgerichtet ist. Wir leben heute im Heute. Tagespolitik ist angesagt, weil mittlerweile auch Tageszeitungen in ihrem zeitbeschleunigten Druck (man beachte das Wortspiel) sich genötigt fühlen, über Live-Ticker digital noch schneller zu informieren und Nachrichten auf unser mittlerweile „sechstes Sinnesorgan“, das Smartphone, „in Echtzeit“ zu übermitteln. Und das möglichst kurz, damit die Aufmerksamkeits-Schwelle der Empfänger*innen nicht überschritten wird. Es soll weniger informiert als unterhalten werden – angeblich soll das den Erwartungen der Konsument*innen entsprechen! Es geht um Stimmungen und Stimmungsschwankungen, um Meinungsumfragen und möglichst zeitnah darauf abgestimmte „Botschaften“. Wofür oder wogegen sich ein/e Politiker*in einsetzen wird, richtet sich wahltaktisch dann viel mehr nach Umfrageergebnissen als nach dem eigenen Verantwortungsbewusstsein. Verantwortungsbewusstsein können sich Politiker*innen heute nicht mehr leisten. Dafür werden sie von den Wähler*innen abgestraft. Daher wird opportunistisch postuliert, was gerade gut ankommt und politische Kehrtwenden können schamlos vollzogen werden, ohne dass die Wendehälse an Glaubwürdigkeit verlieren. Heute glauben viele ja ohnehin nur mehr, was sie glauben wollen.

Doch stimmt das wirklich? Ist die Mehrheit der Wähler*innen, die in ihrem privaten und beruflichen Umfeld vorsorglich, verantwortungsbewusst und professionell agiert, medial und politisch tatsächlich so leicht für so dumm zu verkaufen, dass man ihnen das vormachen kann? Ich glaube – und hoffe – nicht!
Wir sollten bei dieser gegenseitigen Massenverblödung nicht weiter mitspielen. Es ist höchste Zeit, sich dagegen zu wehren und sich eines vernünftigen Verstandes zu bedienen.

Horst Peter Groß, Präsident des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten

02. Juli 2020