Die Corona-Seuche hat zweierlei deutlich und sinnlich erfahrbar gemacht: Der Mensch ist kein trans-animalisches Wesen, er verfügt über einen organischen Körper, und er lebt in einer Weltgesellschaft, die, auch wenn sie formell in Nationalstaaten untergliedert ist, als ein Bio- und Soziosphäre umfassendes Hybrid sein Leben immer stärker bestimmt, und zwar nicht nur mental, vermittelt über digitale Netzwerke, sondern auch analog in seiner unmittelbaren physischen Befindlichkeit. Plötzlich erleben wir, gleichsam als Nebenwirkung, in Zeiten eines überbordenden Neoliberalismus, dass eine Seuche weltweit zum sozialen Sprengstoff werden könnte. Denn sie trifft, obwohl Wissenschaftler lange zuvor gewarnt hatten (Clausen 1994, S. 51 ff.), auf eine völlig unvorbereitete, dann aber massiv nachgefragte staatliche Politik.

Die Illusion, der Markt werde es schon richten, verblasst vor diesem Hintergrund, und der Ruf nach der ordnenden Hand des Staates wird lauter. Aus aktuellem Anlass wird immer mehr Menschen bewusst, dass es gesellschaftliche Bereiche geben muss wie das Gesundheitswesen, die Wasserversorgung oder das öffentliche Verkehrswesen, die man nicht den Regulativen einer zügellos profitorientierten Marktwirtschaft überlassen darf, die keine Grenzen und keine Moral kennt. Gefordert ist vielmehr eine dem Gemeinwohl verpflichtete Ethik des gesellschaftlichen Gesamtwillens, die auf Werten basiert, die sich eine Gesellschaft, zumal eine Weltgesellschaft, in deliberativen Aushandlungsprozessen geben muss (Goldscheid 2020).

Verantwortlich „handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mittel und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt“ (Weber 1985, S. 13). Die verengte Perspektive einer profitmaximierenden Plutokratie, die vor allem einem Zweck dient, äußert sich, und zwar zwangsläufig, durch Nichtbeachtung sowohl der gesellschaftlichen wie der natürlichen Nebenfolgen ihres Tuns: als „soziale Frage“ (Tönnies 2019) und als „ökologische Frage“ (Uekötter 2011); insbesondere betrifft das regelmäßig Belange der „schweigenden Natur“.

Em. O. Univ. Prof. Dr. Arno Bammé, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Ferdinand-Tönnies-Arbeitsstelle

27. April 2020