Die Covid-Pandemie hat uns und unsere inzwischen höchst angespannten Gefühlslagen seit über einem Jahr fest im Griff: Neben Bangen und Hoffnung aufgrund von Lockdowns und halbherzigen Öffnungen zermürbt uns die ständig in Aussicht gestellte „Karotte der Erlösung“ zur Rückkehr in die frühere „Normalität“ – sofern sich irgendwelche Statistiken irgendwohin entwickeln sollten.
Niemand kennt sich mehr aus.
Insgeheim war zu hoffen, zum jetzigen Zeitpunkt „Corona“ längst überwunden zu haben und keine weiteren Worte und Kommentare dazu verlieren zu müssen, doch die Natur des Virus, seine Mutationsfähigkeit und die aktuell immer noch prekäre gesellschaftliche Situation ist eine andere. Und sie ist eine verstörende! Was immer bisher unternommen wurde, um die Pandemie einzudämmen, hat bisher nichts gebracht. Die „Inzidenzzahlen“ sind viel größer als vor dem ersten Lockdown vor einem Jahr, die politisch verordneten Konsequenzen ebenfalls völlig andere. Im besten Fall hätte man daraus gelernt, aber daran lässt sich zweifeln.
Fakt ist: All die medialen Inszenierungen dienten weniger der Lösung des Problems als der (regierungs-)politischen Propaganda, und das im Zusammenspiel mit einem Journalismus, der jede politische Äußerung im Detail seziert, in einer quotenfixierten Dauerschleife analysiert und auf der Suche nach persönlicher politischer Verantwortung deutet. Dies wiederum induziert eine Politik der Absicherung, um nur ja keinen Fehler zu machen. Aber auch einen fatalen Populismus, der gerade aus dieser Unsicherheit und den damit verbundenen existenziellen Ängsten der Bevölkerung heraus Kapital zu schlagen versucht und letztlich die Gesellschaft spaltet. Beides erleben wir nicht nur global, sondern auch angesichts der österreichischen Bundespolitik.
Die anfänglich aufrichtig empfundene Fürsorge und auch mutig gesetzten Maßnahmen der Politik, die von der Bevölkerung in dieser zutiefst verstörenden Situation vorbildlich mitgetragen wurden, haben inzwischen zu irritierenden Entscheidungen geführt, einem politischen Zick-Zack-Kurs, den niemand mehr nachvollziehen kann und will. Verstörend ist, dass die Politik selbst nach einem Jahr nicht in der Lage ist, diese Krise in den Griff zu bekommen. Noch verstörender ist aber, wenn sich herausstellt, dass angesichts einer globalen Bedrohung nationales parteipolitisches Kalkül regiert, schlimmer noch, letztlich der Egoismus der Ich-AG, den die neoliberalistische Ideologie seit Jahrzehnten propagiert. Leider auch in Teilen der politischen Elite, die eine neue politische Kultur verkauft und unter dieser Verkleidung lediglich ihre Machtbasis im althergebrachten Stil einzuzementieren versucht!
In diesem Sinne werden beispielsweise unpopuläre Corona-Beschränkungen vor Wahlen gelockert, auch wenn die Evidenzen dagegensprechen (zuletzt beispielsweise Bulgarien). Oder, es werden nationale Interessen vorgehalten, um die gemeinsam vereinbarte EU-Impfstrategie im Nachhinein zur persönlichen Profilierung populistisch zu unterwandern; nicht nur durch einen bekennend illiberalen ungarischen Regierungschef, der die Idee eines gemeinsamen Europa bei jeder Gelegenheit nationalistisch, parteipolitisch und egoistisch konterkariert, sondern auch durch einen österreichischen Bundeskanzler, der sich ebenfalls auf europäischer Ebene populistisch zu profilieren versucht, weil dies die größte politische Bühne ist. Das sind nur zwei Beispiele, die sich leider problemlos erweitern ließen …
Wenn der EU-Rat über den egoistischen Populismus der national Regierenden eine verantwortungsvolle europäische Politik derart unterwandert, ist das nicht nur zutiefst verstörend, sondern vor allem demokratiepolitisch untragbar. Gesellschaftspolitische Vernunft darf nicht parteipolitischem Kalkül, nationalistischen Interessen und schon gar nicht individueller politischer Karriere unterworfen werden. Leider ist zu befürchten, dass dies ein „frommer Wunsch“ bleibt, weil die Mehrheit der Bevölkerung dies als politische Praxis abtut, die entweder ohnehin nicht veränderbar oder andererseits opportun erscheint, weil sie vermeintlich ihre Interessen vertritt.
Beides könnte ein fataler Irrtum sein.
Horst Peter Groß, Präsident des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten
8. April 2021