Dieser Blog des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten heißt Quergedacht und führt mit diesem Namen ein Motto weiter, dem sich der Uni.club seit Jahren verschrieben hat. Der Blog entstand zu Beginn der Pandemie-Krise Anfang April 2020. Dass zeitgleich eine Bewegung entstanden ist, die sich querdenken nennt, ist eine Koinzidenz. Zwischen denken und gedacht mag es Unterschiede geben. Wer unseren Blog aus Befürchtungen vorm querdenken nicht (mehr) liest, hat falsch gedacht.

Gleichwohl: In diesen Tagen gerät schnell in Verdacht, wer quer denkt. Kritik gilt zwar – in bestimmten Kreisen – immer noch als salonfähig. Bezieht sie sich jedoch auf die derzeitige Politik – die nur noch ein Thema zu kennen scheint: die vermeintlich große Gefahr durch einen Virus – ist Kritik überraschenderweise sofort verdächtig. Reflexartig heißt es: Bitte nicht so pointiert. Nicht so explizit. Nicht so konkret. Plötzlich warnen Wohlmeinende und einem zugeneigte Freunde vor der Beschädigung des Leumunds, weisen darauf hin, dass dieser oder jener Begriff auch von „den Rechten“ oder gar „Verschwörungstheoretikern“ benutzt werde, dieses oder jenes Argument jetzt gerade nicht gesagt werden könne. Und schon ist sie da, die Zensur im Kopf. Die Vorsicht bei dem, was man sagt, bei dem, was man schreibt. Und dann, irgendwann, aber vermutlich nicht allzu viel später, bei dem, was man denkt. Quer zu denken (= Grundlage jeglicher Kritik) wird auf diese Weise mit ideologischem Vorwurf diffamiert oder lächerlich gemacht, egal wie wissenschaftlich fundiert, reflektiert und differenziert das Argument auch sein mag.

Ganz anders offenbar, wer quer ist. Beides – quer denken und quer sein – bedeutete irgendwann einmal einfach nur: nicht dem Mainstream zu folgen bzw. nicht ihm zuzugehören, vielmehr einer Minderheit anzugehören. Eines der großen Projekte linker Politik war es, genau jenen Minderheiten eine Stimme zu geben, für ihre Rechte einzutreten und durch Gesetzgebung diese zu ermächtigen. Die ursprünglich gut gemeinte Politik verkehrt sich aktuell in ihr absurdes Gegenteil. Mittlerweile gilt: Jegliches eigene Betroffensein kann absolut gesetzt und daraus das Recht abgeleitet werden, dass Missstände sofort beseitigt werden. Kurz zusammengefasst ist das Argument: Wer sich als Opfer fühlt, hat Recht; und die anderen die Verantwortung, die Bedingungen so zu verändern, dass das Opfer sich nicht mehr als Opfer fühlen muss (Stichworte: cancel culture, safe spaces an Universitäten usw.). Wie gesellschaftlich mit solchen radikalen Forderungen nach Zensur und in der Art einer Sprachpolizei umzugehen ist, wird aktuell unter dem Stichwort „Identitätspolitik“ mit harten Bandagen verhandelt.

Nimmt man beide Bewegungen zusammen, scheint heute zu gelten: Jene, die quer denken, sollen möglichst genau (am liebsten vom Verfassungsschutz?) beobachtet werden, während jene, die quer sind, fordern, gesellschaftlichen Schutz zu erhalten und all jenes auszumerzen, was sie verletzen könnte. Ist das der neue Unterschied zwischen Denken und Sein? Ein Ausdruck der „neuen Normalität“? Wer denkt ist gefährlich, wer fühlt oder „ist“, gehört geschützt? Mir scheint das völlig verquer (man möge das Sprachspiel verzeihen), denn beides hat mit Zensur zu tun.

Bei jeder Art von Zensur wird es eng. Ganz egal, wie sie motiviert ist. Zensur bedeutet Unfreiheit, Kontrolle, Restriktion. Und sie ist ein eindeutiges Zeichen für Totalitarismus.

Was wir brauchen: Deutlich weniger Debatte und dafür mehr Gespräch! In der Debatte streiten jene miteinander, die mit Wahrheit gesegnet sind, womit das Gegenüber in jedem Fall Unrecht haben muss. Im Gespräch kommt dagegen zum Tragen, was Friedemann Schulz von Thun so gerne betont: Die Wahrheit beginnt zu Zweit. Und genau da müssen wir (wieder) hin!

 

Heike Egner, Geographin, Sozionautin, Gastprofessorin an der Universität für Bodenkultur in Wien und Vorstandsmitglied des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten

7. April 2021