Der Begriff des „Ökosystems“ ist schon seit geraumer Zeit im Kontext regionaler Wirtschaftsentwicklung und der gedeihlichen Einbettung neuer Unternehmen (Gründungen, Ansiedlungen und Startups) etabliert. Jetzt steigt seine Bedeutung für Leitbetriebe. Große Unternehmen leben in denselben Ökosystemen wie deren Lieferanten, Kunden aber auch Konkurrenten. Alle umgibt die Unsicherheit der Pandemie und ihre noch nicht absehbaren auch langfristig wirkenden Folgen. Es gibt viele Unbekannte, wobei asymmetrische, jedoch abschätzbare Wirkungen wie auch völlig unvorhersehbare Erschütterungen auftreten – im regionalen Umfeld und entlang der Wertschöpfungskette. In einer derart dicht vernetzten und gleichzeitig unsicheren Welt kann es passieren, dass ganze Zuliefernetzwerke durch wirtschaftliche Schwierigkeiten oder durch Neuorientierung verschwinden.
Sollen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, um ihre Lieferkette zu stabilisieren? Eine Voraussetzung für das Gelingen dieser Veränderung ist eine offene Informationspolitik. Das Muster: die Gewinner schweigen und die Verlierer sperren zu, wäre keine gute Voraussetzung für eine neue Kultur eines Ökosystems. Vielmehr müssen die Unternehmen sich gegenseitig Feedback geben und hart arbeiten, um ihre Branche resilienter zu machen. Sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen ist nicht nur für die jeweiligen Kunden und Lieferanten anzuraten, es kann sich auch für den Mitbewerber sinnvoll erweisen. In dieser „neuen Normalität“, in der die Planparket für viele Unternehmen völlig zum Erliegen gekommen ist, kann dieser Prozess allen beteiligten Unternehmen helfen, die Kosten für die zu erwerbende Resilienz zu teilen und die gemeinsamen Kompetenzen zu nutzen, um innovative Vorgehensweisen zu erforschen und zu implementieren. Um das Ökosystem zu unterstützen, kann es nötig sein, den Lieferanten mehr als übliche Anzahlungen zu gewähren und den Kunden zu unterstützen, indem Zahlungen gestundet werden. In anderen Fällen bedeutet Risikoteilung, dass Mitarbeitende für eine bestimmte Aufgabe oder für Wissenstransfer, verliehen werden oder dass Spezialist*innen in mehreren Unternehmen arbeiten. Es können Kooperationen auch tiefer gehen, bis hin zur Beteiligung – oder zur erforderlichen (Teil)-Übernahme.
Ein schönes Beispiel, welches ich während der letzten Wochen begleiten durfte, war die Rettung und teilweise Integration eines kleinen Software-Startups in ein mittleres Unternehmen, wo das Hauptaugenmerk auf Synergiepotentiale und auf Weiterentwicklung für beide Unternehmen gelegt wurde und nicht detailreich auf der Klärung der Positionen der Verbindlichkeiten und noch zu erwartenden Verlusten beharrt wurde.
Univ.-Prof. Mag. Dr. Erhard Juritsch, Vorstand KWF Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds, Universitätsprofessor Zentrum für Angewandte Betriebswirtschaftslehre und Entrepreneurship Universität Graz
1. Februar 2021