Oren Yiftachel verdanken wir die  wunderbare Wortschöpfung „Coronialismus„. Der Begriff deutet auf die Strukturen und Muster hin, unter denen gesellschaftliche Veränderungen plötzlich ihren Anfang nehmen. Dass „Coronialismus“ wie „Kolonialismus“ klingt, ist beabsichtigt. Beides funktioniert sehr ähnlich: Das relativ stabile Gefüge des Lebens wird durch die Invasion einer äußeren Kraft untergraben. Die Invasion verändert die Gesellschaft auf eine Art und Weise, die von der lokalen Bevölkerung weder beabsichtigt noch vorauszusehen ist, wobei Veränderungen der Struktur der Gesellschaft mittel- und langfristige soziale, wirtschaftliche und politische Veränderungen erzeugen.

Wie Kolonialismus versucht der Coronialismus die Köpfe derer, die er zu beherrschen drängt, zu erobern. Anders als der Kolonialismus wirkt der Coronialismus global, und das ist das Beängstigende. Milliarden Menschen nehmen drakonische Schließungen, politische Entmachtung und wirtschaftlichen Ruin ohne großen Protest oder zivilen Ungehorsam hin. Ermöglicht wird dies durch eine Atmosphäre der Angst vor der Ausbreitung einer Krankheit mittleren Ausmaßes, die mittels einer Lawine von Einzelheiten der drohenden „Katastrophe“ durch Regierungen und Medien kommunikativ entsteht.

Die globale coroniale Ordnung ist noch im Entstehen begriffen, hat jedoch bereits eine Reihe neuer Realitäten geschaffen: Die Globalisierung hat sich erheblich verlangsamt, die vermeintlich geschwächten Nationalstaaten erstarken und die Regierungen kehren zu alten Gewohnheiten zurück: Strenge Grenzkontrollen, Hetze gegen Migration, Einschränkung und Kontrolle der Bewegungsfreiheit, Zentralisierung von Macht … Ein Blick in die Geschichte könnte uns warnen, dass „Notlagen“ gerne ausgenutzt werden, um Macht und Ressourcen an sich zu reißen. Nehmen wir das ernst!

Gleichzeitig lässt sich der Coronialismus als Chance zur Veränderung, als Neubeginn gesellschaftlicher Realitäten begreifen. CoVid-19 hat uns das Grundproblem der Privatisierung wesentlicher Lebensbereiche und deren alleinige Orientierung am Profit sehr deutlich vor Augen geführt. Corona zeigt uns, dass der Kapitalismus als Gesellschaftsform uns nicht dafür rüstet, mit großen Krisen umzugehen. Dabei steht die nächste (uns bereits bekannte) bereits vor der Tür: der Klimawandel.

Jetzt ist die Zeit, die vielen Überlegungen für resiliente Formen von Gemeinschaft und Gesellschaft in einer post-kapitalistischen, nachhaltigen und postwachstumsorientierten Gesellschaft so zu aktivieren, dass sie in der Lebensrealität von uns allen ankommen. Dafür braucht es uns alle!

Heike Egner, Ida Pfeiffer Professorin an der Universität Wien, Sozionautin und Vorstandsmitglied des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten

15. Mai 2020