Seit gefühlt einer Ewigkeit werden wir nun von unserem Leben ausgesperrt – auch wenn das paradoxerweise heißt, eingesperrt in unser Zuhause zu sein. Täglich werden wir mit „den Zahlen“ (mein persönliches Unwort des Jahres 2020) konfrontiert, die als Begründung für das „Herunterfahren“ des Lebens herhalten müssen. Eine wesentliche Zahl ist jene der Gestorbenen, die „an oder mit“ SARS-CoV-2 gestorben seien. „An oder mit“? Man sollte meinen, dass es von grundsätzlicher Bedeutung ist zu wissen, ob jemand tatsächlich „an“ dem Virus gestorben ist und nicht an einer anderen Ursache, aber in Kontakt mit dem Virus gekommen war. Man stelle sich vor es hieße, jemand sei „an oder mit Krebs“ gestorben oder „an oder mit einem Unfall“ oder „an oder mit einer Hirnschädigung“. Wer würde eine derartige Aussage akzeptieren?

Dass diese Frage zu Beginn einer Pandemie unklar sein kann, ist nachvollziehbar. Sie ist jedoch für die zu ergreifenden Schutz-Maßnahmen von so erheblicher Bedeutung, dass man schon genau wissen sollte, was der Fall ist. Man würde (dürfte, müsste?) erwarten, dass medizinische Heerscharen sich mit dieser Frage beschäftigen. Ja, sogar noch intensiver als mit der Suche nach einem Impfstoff. (Denn wer weiß, ob wir überhaupt einen Impfstoff bräuchten, wenn wir wüssten, wie viele es denn genau sind, die „an“ dem Virus sterben?) Wenn wir es denn wissen wollten. Und das scheint erstaunlicherweise nicht der Fall zu sein. Denn Berichte über ernsthafte wissenschaftliche Bemühungen dieser Unterscheidung sind seltsamerweise nicht auffindbar. Auffindbar dagegen sind verschiedentlich Berichte darüber, dass Gestorbene ungeachtet der konkreten Todesursache aufgrund eines post mortem durchgeführten positiven PCR-Test als „Corona-Tote“ geführt werden.

Damit handelt es sich bei Aussagen über die Zahl der „an oder mit“ Corona Gestorbenen um einen Fall von Bullshit. Bullshit in dem Sinne, wie Harry G. Frankfurt ihn vor gut vier Jahrzehnten wissenschaftlich erläutert hat: Als vollständige Gleichgültigkeit des Bullshitters gegenüber der Wahrheit. Diese Gleichgültigkeit ist aus meiner Sicht schädlicher als Lüge oder Betrug; hinter beiden steckt immerhin eine Absicht, eine Intention, ein Interesse, und wenn es nur das Interesse am eigenen Vorteil ist. Gleichgültigkeit der Wahrheit gegenüber jedoch verweist auf Verächtlichkeit. Eine Verächtlichkeit des Bullshitters allem und jedem Gegenüber. Im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 nimmt diese Verächtlichkeit ein Ausmaß an, das einem den Atem raubt. Wen die Unterscheidung zwischen „an“ und „mit“ bei der Ursachenbezeichnung eines Todes nicht interessiert, ja wer noch nicht einmal den Versuch unternimmt, eine sorgfältige Beschreibung der Realität zu geben, dem sollte nicht das Recht gegeben werden, (politische) Entscheidungen über aller unser Leben zu fällen.

Heike Egner, Geographin, Sozionautin, Gastprofessorin an der Universität für Bodenkultur in Wien und Vorstandsmitglied des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten

18. Jänner 2021