Jetzt ist er da, der zweite Lockdown. Wie vieles, was kurz zuvor nicht für möglich gehalten wurde. Das öffentliche Leben wird heruntergefahren. Betriebs-, Ausgangs- und Besuchsverbote, angeblich alles zu unserem Schutz. Doch werden wir damit nicht alle für unmündig erklärt?
Die Welt ist aus den Fugen geraten, Corona ist aber nur eines der Beispiele für das fatale Karussell, das wir in Gang gesetzt haben und nun offenbar nicht mehr in den Griff bekommen (Demokratiekrise, Klimakrise, bald auch Wirtschaftskrise). Das erinnert an das Zauberlehrlingssyndrom und provoziert zur Frage, ob wir seit dem ersten Lockdown nichts gelernt haben? Wenngleich sich der größte Teil der Bevölkerung konstruktiv verhält, wird per staatlichem Dekret wieder über alle darübergefahren, im Grunde nach dem selben Muster wie zuvor. Zum Teil willkürlich erscheinende Verordnungen gepaart mit Angst machenden Parolen nach dem Prinzip, dass sich die Schalthebel der Macht mit der Angst der Massen leichter bedienen lassen. Leider scheint angesichts der stark steigenden Infektionen kein anderes Mittel mehr möglich, als wiederum einen Stillstand zu verordnen. Gleichzeitig verspricht „Vater Staat“ finanzielle Abgeltung für den von ihm verordneten Lockdown. Unterstützung ist wahrlich notwendig! Aber sind wir deswegen zu Dank verpflichtet? Ich finde, nein. Denn wir zahlen den Preis unserer Freiheitsrechte, die – hoffentlich – höchstgerichtlich wiederhergestellt werden. Ist das die politische Verantwortung, die wir wollen? Die gesamte Bevölkerung in Geißelhaft zu nehmen, weil es eine Minderheit Uneinsichtiger gibt, die sich leichtsinnig verhalten?
Eine demokratische Gesellschaft lässt sich auf Dauer nicht über totale Überwachung kontrollieren. Noch wird versichert, dass wir in unseren Wohnungen nicht kontrolliert werden. Bis vor Kurzem war aber auch vieles andere undenkbar. Es wäre vernünftig, Mitverantwortung zu übernehmen, d.h. einerseits sich nicht alles unwidersprochen gefallen zu lassen, andererseits aber aktiv beizutragen und darum zu kämpfen, dass totalitäre Maßnahmen so schnell als möglich wieder zurückgenommen werden müssen.
Horst Peter Groß, Präsident des Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten
11. November 2020
Lieber Herr Professor Groß,
Erlauben Sie mir eine etwas andere Perspektive einzunehmen. Grundsätzlich ist es die Aufgabe jeder Regierung, die Bevölkerung so gut wie möglich zu schützen. Dazu sind manchmal Verbote notwendig. So z.B. bei Wiederbetätigung und islamistischer Gewaltverherrlichung, was ja gut und richtig ist. Im medizinischen Betrieb, aus welchem ich komme, empfindet niemand den Zwang zum lückenlosen sterilen Arbeiten im OP als eine totalitäre Maßnahme. Das Problem bei Corona ist, dass NIEMAND bisher eine Patentlösung gefunden hat. Verhält man sich freiheitsbewusst und betrachtet Corona als eine Art Grippe (wie in USA, Brasilien, UK) dann wird man von den Medien gegeißelt und versucht man die Situation mit Lock-downs etc. in den Griff zu bekommen, dann wird man als totalitär hingestellt. Da die Bevölkerung, wie sich gezeigt hat, aus vernünftiger Einsicht die einfachen Regeln überwiegend nicht einhalten kann oder will (Maske, Abstand, kein Gedränge in Geschäften am letzten Tag vor Lock-down etc.), scheinen die strikten Lock-downs weltweit die ultima ratio zu sein, um das Krankenhaussystem aktionsfähig zu erhalten. Es haben also alle Politiker derzeit schlechte Karten, weil es immer jemand gibt der es besser weiß, aber niemand Verantwortung für die vielen Toten und schwer Erkrankten übernehmen will und auch nicht für den Verlust unseres Wohlstands der letzten 20 Jahre.
Die einzige reale Hoffnung auf ein normales Leben kommt von den, durch eine Glanzleistung der Pharmaindustrie in Rekordzeit entwickelten Impfstoffen gegen Covid-19, welche wie schon bei Pocken und Polio das Leben der Menschen entscheidend verbessern werden. Die Zeit bis dahin müssen wir jetzt eben „durchtauchen“…
Mit besten Grüßen
Dr. med, Dr. phil Wolfgang Wein
Lieber Herr DDr. Wein,
ich bedanke mich für Ihren Kommentar, den ich grundsätzlich auch teile. Die unmittelbare Erfahrung, dass ein Virus unsere global vernetzte und mobile Welt aus den Angeln heben kann, hat ein gesellschaftspolitisches Dilemma, auf das offensichtlich niemand eine gute Antwort weiß, sehr deutlich zutage treten lassen. Dass Politik im Krisenmodus rasch und bestimmt handeln muss, ist unwidersprochen, und auch, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung offenbar keine vernünftige Einsicht zeigt bzw. nicht willens ist, konstruktiv mitzuwirken. Der Widerspruch von Freiheit und Sicherheit ist menschlichen Gesellschaften systemimmanent, darf jedoch nicht über die extremen Standpunkte der beiden Pole „prozessiert“ werden: Je stärker die (offiziellen) Verbote, desto größer der (verdeckte) Widerstand. Das verstärkt die Spaltung der Gesellschaft, die, angetrieben durch andere Krisenphänomene (z.B. Klimawandel), bereits seit Jahren im Gange ist und der die Politik nichts vergleichbar Rigoroses entgegensetzt. Die unmittelbare Erfahrung, die Angst, dass hier und heute jeder von uns betroffen sein und sogar sterben kann, lässt sich populistisch besser nutzen als unpopuläre Einschränkungen, um z.B. das Artensterben zu reduzieren. Auch ich hoffe, dass möglichst bald ein sicherer Impfstoff gefunden wird. Die Hoffnung, damit wieder in ein „normales Leben“ zurückkehren zu können, teile ich nicht, denn sie birgt auch eine Gefahr. Es könnte eine breite Wähler-Basis veranlassen zu glauben, dann wieder weiter zu machen wie zuvor und dazu in populistischer Politik, welche die Corona-Krise gemeistert hat, den geeigneten Partner gefunden zu haben. Es ist zu befürchten, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Politik unsere Gesellschaft noch mehr spalten und – hoffentlich nicht – radikalisieren werden.
Liebe Grüße, HPG
Eine freundlich-kritische Anmerkung:
Da muss dem sonst so geschätzten Vorsitzenden des Uniclubs doch entschieden widersprochen werden: Lassen wir Fragen der Semantik („Totalitäre Demokratie“- ein Widerspruch in sich selbst!?) einmal beiseite: Es ist doch augenscheinlich: Der Lockdown wurde natürlich zum gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung verfügt. Alles andere macht keinen Sinn. Welche neoliberal eingefärbte Regierung würde es sich ohne Not einfallen lassen, ihre geheiligte freie Marktwirtschaft in das Sandstrahlgebläse eines Lockdowns zu lenken und verpönte staatliche Wirtschaftshilfe zum neuen Credo zu erheben?
Unter Abwägung aller Interessen haben angesichts der allgemeinen Verunsicherung meines Erachtens immer noch Vorsichtsmaßnahmen für die Gesundheit Priorität.
Es ließe sich zu Grundrechtsfragen freilich mehr sagen – das aber sprengt die Grenzen eines Kommentars.
Mit freundlichen Grüßen
DDr. Helmut Friessner, Mitglied des Vorstands des Universitäts.club I Wissenschaftsverein Kärnten